Auf dem Höhepunkt der Auseinandersetzungen um die Hamburger Elbphilharmonie sah es eine Zeit lang so aus, als würde das Projekt auf der Strecke bleiben. Just zu diesem Zeitpunkt, als der Bau in der Hamburger Lokalpresse nahezu täglich Schlagzeilen machte, entschieden sich Braun, die Initiatoren und Geschäftsführer des Hamburger Miniatur Wunderlands, selbst eine Nachbildung des Megabaus zu wagen. Schneller wurden sie nicht fertig – zumindest wenn man die Gesetzmäßigkeiten ihrer Miniaturwelt zu Grunde legt
Mut zur Lücke? Daran mangelt es den Verantwortlichen des Hamburger Miniatur Wunderlands durchaus nicht. Nachdem ihnen klar wurde, dass sie den ursprünglich geplanten Fertigstellungstermin ihrer kleinen Elbphilharmonie im Maßstab 1:87 nicht einhalten können würden, entschieden sich die beiden Geschäftsführer von Hamburgs jüngster Touristenattraktion, Gerrit und Frederik Braun, im 22.03.2013 zu einem mutigen Schritt: Statt der sonsthin üblichen Salamitaktik, nach der die zumeist fatalen Details solcher Bauverzögerungen eben nur Scheibchenweise ans Licht gefördert werden, traten sie die Flucht nach vorne an und stilisierten das eigene Scheitern standesgemäß zu einem einem waschechten Skandal: In der Luft hängende Sanitäranlagen, eine ins Nichts führende Rolltreppe und das äußerst fragwürdige Rettungskonzept einer Evakuierung des Gebäudes im Notfall über einen Sprungturm standen bei der offiziellen Verlautbarung der Verzögerung letztlich nur symbolisch für die eigentlichen Probleme: „Wie bei der großen Schwester haben auch wir die Komplexität des Baus unterschätzt“, so Braun. Statikprobleme, versteckte Detailkosten, zwischenzeitlicher Baustopp – da stieß man auf so manche Parallelen zum echten Leben.
Ähnlichkeiten gab es bereits zu Beginn. Auch als Alexander Gérard, der ursprünglich treibenden Kraft hinter der Idee einer großen Philharmonie an der Elbe, am 26. Juni 2003 in der Hamburger Musikhalle Pläne und Modelle für das Projekt präsentierte, wurde mit Superlativen nicht gespart. Deutlich zu dick aufgetragen war gleichermaßen Frederik Brauns Ankündigung am 13. November 2012: Da „es drüben am Kaiserkai offenbar nur schwerlich vorangeht, haben wir beschlossen, die Baustelle zu uns in die Speicherstadt zu legen. Wir sind guter Dinge, dass wir unsere Elbphilharmonie in einem Zwölftel der Zeit und für ein Zweitausenddreihundertachtzigstel des Preises der Nachbar-Philharmonie bauen können. Auf jeden Fall werden wir früher fertig.“
Offizielle Einweihung
Auch wenn man bei der offiziellen Einweihung des Gebäudes am 13. November des gleichen Jahres zumindest die Einhaltung des letzteren Versprechens für sich reklamieren konnte, war dennoch nicht von der Hand zu weisen, dass das Team des Miniatur-Wunderlandes den anvisierten Kostenrahmen ebenso wie beim Bau des großen Originals um ein vielfaches gerissen hatte. Und mit der Ausflucht, man habe die kleine Elbphi ja „nur“ ein halbes Jahr zu spät fertiggestellt, kann man die 17 an diesem Projekt beteiligten Modellbauer auch nicht so einfach aus der Schuldigkeit entlassen. Immerhin geht im Laufe eines halben Jahrs im Reich des Miniatur-Wunderlands bei der kurzen Dauer eines Tag- und Nachtzyklus’ von nur 15 Minuten satte 35.040 Mal die Sonne auf. Zu Deutsch: Die Bauverzögerung summiert sich auf ein Maß von 48 Jahren!
Exakt ein Jahr, respektive 96 Modelljahre, hat es gedauert, bis das eigentlich für das Frühjahr 2013 angekündigte Bauwerk fertiggestellt war. Aus den bis Mitte März geleisteten 3000 Arbeitsstunden waren da mehr als 10.000 geworden, die kalkulierten Kosten von rund 100.000 Euro waren auf 285.000 Euro geklettert. Peanuts gegenüber den gut und gerne 789 Millionen Euro Baukosten für ihr großes Pendant, die im Laufe der Zeit auf das beinahe zwanzigfache gestiegen sind. Weit davon entfernt bleibt das Hamburger Wahrzeichen damit doch das aufwendigste und teuerste Einzelmodell der Anlage und eines der absoluten Highlights im Miniatur Wunderland. Und das nicht nur aufgrund ihrer imposanten Ausmaße und der allein hier verbauten weit über 1500 Leuchtdioden (Leds), sondern vor allem wegen ihrer faszinierenden Technik.
Denn von Beginn an sah sich das Modellbauteam verpflichtet, neben der beeindruckenden äußeren Gestalt des Gebäudes auch sein faszinierendes Innenleben zu zeigen. Doch wie sollte man das bewerkstelligen? Das Modell schlicht an einer Seite aufzuschneiden, wie es die vielen Illustrationen vorexerzieren, die über das Konzerthaus mit der weltberühmten Akustik erschienen sind, hätte den ästhetischen Gesamteindruck zerstört. Deshalb entschied man sich letztlich dafür, dem Modell buchstäblich „Flügel zu verleihen“ und sein Innenleben wie bei einem Altar nur auf Bedarf freizulegen. Dabei bot es sich zugleich an, die Entscheidung, einen Blick in das Innere der Elbphi zu werfen, den Besuchern des Wunderlandes selbst zu überlassen und hier eine der an vielen anderen Stellen der großen Miniaturwelt installierten Knopfdruckaktion vorzusehen. So würden, wenn die Besucher es wollen, die Seitenwände der Wunderländer Elbphilharmonie wie zwei Flügel auseinander fahren und den Blick auf den imposanten großen Konzertsaal sowie das Treiben in den diversen Privatwohnungen, Hotelzimmern und Proberäumen freigeben.
Die Modellbauer erreichten dadurch, dass im geöffneten Zustand sichtbar wird, wie der Konzertsaal analog der großen Elbphilharmonie, als eigenständige, sich selbst tragende und im Original 12.500 Tonnen schwere Konstruktion, gelagert auf 362 riesigen Federpaketen, in einem gigantischen Betongehäuse steckt.
Die Modellwiedergabe
War es im großen diese Konstruktion, die durch ihr immenses Gewicht die ursprüngliche Planung zu Fall brachte und den Bau deutlich verkomplizierte, musste das Team der Modellbauer an Kehrwieder 2 in der Speicherstadt ganz eigene Herausforderungen bewältigen.
Modellbauchef Gerhard Dauscher gestand bereits im Frühjahr 2012 bei Bekanntgabe der Bauverzögerung, man sei trotz der Verfügbarkeit der Originalpläne wirklich überrascht, „wie schwierig es ist, die Elbphilharmonie nachzubauen.“
Eine simple Übertragung des Gebäudes in den in erster Linie durch die Züge und die Figuren vorgegebenen Maßstab 1:87 schied wegen der immensen Dimensionen der echten Elbphilharmonie aus. Selbst die durch den 2016 erfolgten Eintrag ins Guinness Buch der Rekorde beurkundete größte Modellbahn der Welt, bekommt irgendwann einmal ein Platzproblem. Eine maßstabsgerechte Verkleinerung würde nämlich immer noch eine Höhe von etwa 126 Zentimetern erreichen, von der entsprechenden Länge ganz zu schweigen. Also musste ein Kompromiss gefunden werden – eine Überwindung, die Modelleisenbahnern wohl bekannt ist. Das Gebäude indes einfach zu schrumpfen, bis es vertretbare Ausmaße erreicht, war auch keine Lösung. Schließlich sollten überall im und um das Gebäude herum Figuren platziert werden, die nicht wie Riesen mit dem Kopf durch die nächsthöhere Geschossdecke ragen sollten. Hier galt es, behutsam an den Proportionen zu schrauben und sich über den Bau mehrerer Provisorien an eine glaubhafte (dennoch in der Länge gestauchte) Gesamterscheinung anzunähern. Schlussendlich erreicht das Modell eine immer noch stattliche Höhe von 82 Zentimetern und eine maximale Längenausdehnung von 96 Zentimetern.
Den Modellbauern blieb daher nichts anderes übrig, als die Elbphilharmonie mittels CAD ein zweites Mal völlig neu zu entwerfen. Neben den zunächst für die äußere Erscheinung entscheidenden Fragen der Größenordnung, die an Stellen, wie des „Plaza“ genannten Zwischengeschosses oder der tatsächlich nachgebildeten Rolltreppe allerdings auch die innere Struktur betreffen, galt es zahlreiche weitere Fragen zu klären. So musste etwa nach Festlegung der Maße der weiteren zur Nachbildung der Hafencity herangezogenen Gebäude ein entsprechender Unterbau entworfen und für die Elbphilharmonie vor allem ein zuverlässiger Öffnungsmechanismus entwickelt werden. Hier kam nur eine grundsolide Konstruktion in Frage, die über Jahre zahllose Öffnungs- und Schließvorgänge verkraften und zugleich das Gewicht der beiden, gut und gerne über ein Drittel der gesamten Gebäudelänge reichenden, Flügel tragen würde. Bestenfalls sollten die beweglichen Teile der Vorrichtung durch Tausch entsprechender Ersatzteile überdies zu einer Instandsetzung taugen. Ergo verließ man sich hier von vorne herein auf einschlägige Systemkomponenten, wie sie in der Mechatronik und im Maschinenbau üblicherweise Verwendung finden.
Computergesteuert, wie letztlich alle Bewegungen im Wunderland, verlangten die asymmetrischen Öffnungswinkel der Konstruktion zudem die Programmierung jeweils individueller Haltepunkte und Öffnungsgeschwindigkeiten.
Highlight im Großen und Kleinen: der Konzertsaal
Als ausgewachsenes Einzelprojekt entpuppte sich auch die modellgerechte Umsetzung des in Weinbergmanier konzipierten Konzertsaals, der wie im Original als separate Konstruktion ausgeführt wurde. Im wahren Leben für 2.150 Zuhörer gedacht, zeigt sich hier die Stauchung der Dimensionen zwar deutlicher als anderswo, doch fällt dies wegen der Überfülle der bei Öffnung der Flügel zum Vorschein kommenden Details kaum auf.
Zumal die wahre Attraktion im wahrsten Sinne des Wortes im Vordergrund steht: das dem Betrachter zugewandte Orchester. So ertönt, sobald der Blick ins Innere frei wird, nicht nur Sergej Prokofjews „Peter und der Wolf“, wer genau hinsieht, bemerkt, dass sich auch die Arme des Dirigenten sowie auch alle Musiker beim Spielen bewegen. Ein wenig ruckelig zwar, aber, und das ist in diesem Zusammenhang viel entscheidender, keineswegs synchron, wie es aufgrund der durch die Instrumente vorgegebenen, unterschiedlichen Bewegungen auch bei einem echten Orchester nicht der Fall wäre, sondern scheinbar völlig unabhängig voneinander, so als ob das Orchester richtig zu leben würde. Zumindest ein bisschen.
Was haben die Wunderland-Tüftler hier wieder ausgeheckt? Vor dem geistigen Auge baut sich da das Bild einer Unzahl unter dem Orchestergraben auf kleinster Fläche versenkter winziger Motörchen, Getriebe und Steuergeräte auf. Doch wie lange würde eine solch winzige Mechanik fehlerfrei arbeiten? Das zumindest ist die Frage, die sich die Schöpfer der kleinen Elbphilharmonie stellten. So konnten sie das Residenzorchester jedenfalls nicht von seiner Antriebsschwäche befreien!
Der Weg, den sie beschritten, ist letztlich genial simpel: Unter der Position jedes Musikers wurde ein feines Loch durch den Boden gebohrt und anschließend jedes Mitglied des Orchesters auf einen dünnen Draht geklebt. Durch die jeweilige Bohrung geführt, wurde jeder Draht unterhalb des Bodens mit einem kleinen Neodymmagneten und unterschiedlich justierten Anschlägen zur Begrenzung der individuellen Bewegung versehen. Lässt man nun in einigem Abstand darunter auf einer horizontalen Bewegungsebene mehrere größere Magnete in unterschiedlicher Geschwindigkeit und Richtung rotieren, entsteht durch situativ unterschiedlichste Auslöschungs- oder Verstärkungsffekte ein fortwährend variierendes Magnetfeld, welches letztlich jeden Musiker in ein unkoordiniertes „Zappeln“ versetzt.
Auf diese Weise konnte man die Reibung als einen der größten Feinde jeder Mechanik in weiten Teilen außen vor halten. Abgesehen von der Rotation der großen Magnete gibt es keine diffizilen Antriebskomponenten, die im Dauerbetrieb wie im Wunderland schnell verschleißen und einen hohen Wartungsaufwand erfordern würden. Einzige Außnahme ist der individuell animierte Chefdirigent Thomas Hengelbrock – sofern man ihn als solchen erkennen mag. Unmittelbar oberhalb zweier vergleichsweise gigantischer Elektromagnete postiert, kann er dank winziger darin versteckter Magnete beide Arme voneinander unabhängig bewegen.
Perfekte Gebäudehülle
Auch wenn ein Großteil von Entwicklungsaufwand und Geld in die inneren Werte des Konzerthauses gesteckt wurde – „Nerven gekostet“, wie Modellbauchef Dauscher es in Worte fasste, haben auch Arbeiten an der Außenhülle, so beispielsweise die Dachkonstruktion. Das stattliche, dem Wellengang auf der Elbe nachempfundene Dach musste beim Modell, weil es sich bei geöffneten Flügeln nicht auf die darunter liegenden Konstruktion abstützen kann, einerseits die nötige Stabilität besitzen, durfte andererseits aufgrund der bis an die Dachkante heran ragenden Verglasung auch nur eine relativ geringe Materialstärke aufweisen. Als ob das nicht schon schwierig genug gewesen wäre, hatten sich die Modellbauer noch mit der authentischen Wiedergabe der relativ scharfkantig abbrechenden Wellenkämme einer weiteren ausgewachsenen Herausforderung zu stellen. Lösen ließ sich das Problem erst durch ein aus dem CAD-Modell extrahiertes, präzise geschnittenes Rippenmodell aus MDF, welches die Gestallt des Daches als Negativform beschrieb und mit Modellbauvlies bespannt wurde. Diese bei der Tragflächenbespannung von Flugmodellen angewandte Methode, bei der das Vlies nach der Verspannung zwei- oder auch dreimalig mit Spannlack gestrichen wird und nach dem Trocknen eine hohe Festigkeit und eine ausgezeichnete Verarbeitungsmöglichkeit aufweist, führte letztlich zu einem brauchbaren Ergebnis.
Als Parallele zur großen Elbphilharmonie stellte sich auch das komplizierte Handling der zahllosen bedruckten und zum Teil mit ausladenden Wölbungen versehenen, im Original sündhaft teueren (je 72.000,00 Euro) Glasscheiben dar. Allein 10 Wochen hat es gedauert, die Acrylscheiben nach dem Zuschnitt mit Alkohol von ihrer Schutzfolie zu befreien. Darauf galt es, die individuelle Färbung der Scheiben mittels Airbrush-Technik nachzubilden. Dazu konstruierten die Wunderländer Modellbauer ein spezielles Greifwerkzeug, dass es gestattet, jeweils zwei Scheiben auf einmal zu fassen. Aufs penibelste genau musste während des gesamten Prozesses über eine eindeutige Codierung insbesondere die jeweilige Position der Gläser festgehalten werden, damit es im Ablauf der Fassadenerstellung zu keinen Verwechslungen kommen konnte. Bemerkenswert bei der Verglasung ist am Ende nicht nur die präzise Wiedergabe der verformten Scheiben sondern auch der im mittleren Gebäudebereich um ein Drittel vergrößerte Geschosshöhen.
Vergleichweise wenig anspruchsvoll gestaltete sich hingegen die Wiedergabe der gemauerten Fassade des alten Kaispeiches A. Die benötigten Mauerwerksplatten konnten nach Festlegung der Abmessungen des Modells und korrekter Positionierung der Luken im CAD-Programm mit einer maßstabsgerechten Dimensionierung des Ziegel-Verbunds überlagert und dann per Laser aus entsprechenden Platten herausgeschnitten bzw. gefräst werden.
Kleine MiWuLa-Geschichte
Im November 2013 von Knuffingens Erstem Bürgermeister Frederik Braun, Hamburgs Kultursenatorin Professor Barbara Kisseler und dem Generalintendanten der großen Elbphilharmonie Christoph Lieben-Seutter feierlich eingeweiht, zählt die verkleinerte Elbphilharmonie seither zu den absoluten Highlights der Miniaturwelt der Superlative in der Hamburger Speicherstadt. Mit weit über 15 Millionen Besuchern aus allen Teilen der Welt und derzeit rund 1,3 Millionen Besuchern pro Jahr zählt das Wunderland längst zu den Top-Touristenattraktionen der Hansestadt. Aus dem anfangs für „verrückt“ erklärten Projekt „weltfremder Träumer“ ist längst ein ernst zu nehmender Wirtschaftsfaktor geworden. Inzwischen rund 760.000 Arbeitsstunden wurden investiert, das Leben der weit über „260.000 Einwohner“ der Miniaturwelt so angenehm und anregend, wie möglich zu gestalten.
Nach der Fertigstellung des Abschnittes Italien im September 2016, umfasst die Anlagenfläche der größten Modellbahn der Welt nunmehr über 1.490 Quadratmeter. Ein Ende ist nicht abzusehen. Längst hat das von ursprünglich geplanten 20 auf mittlerweile über 360 Mitarbeiter gewachsene Team des Miniatur Wunderlands die „Schrumpfung“ weiterer Regionen der Welt auf den Maßstab 1:87 auf dem Radar. Zur Diskussion stehen dabei so interessante Länder wie Südafrika, Frankreich und das Mutterland der Eisenbahn: Großbritannien, das erstmals in einem gegenüberliegenden Geschoss eines Gebäudes auf der anderen Seite des Kehrwiederfleets mittels einer Brücke angebunden werden soll. Ob da dann auch Zoll- und Personenkontrollen anfallen?