Von Prudhoe Bay, dem nördlichsten Außenposten Alaskas, bis nach Feuerland im äußersten Süden Chiles erstreckt sich die längste Straße der Welt, die Panamericana. Einer der schwierigsten Abschnitte der Fernroute liegt südlich von Lima in Süd-Peru
Nord- und Südamerika erstrecken sich in ihrer Längsausdehnung über die größte Distanz, die man auf diesem Planeten auf dem Landwege zurücklegen kann. Mit dem Aufkommen des Automobils und dem voranschreitenden Ausbau des Straßennetzes war es da nur eine Frage der Zeit, bis der Gedanke einer von Alaska bis Feuerland durchgehenden Straßenverbindung aufkam. Bereits 1923 war diese Vision auf der Fünften Internationalen Konferenz der Amerikanischen Staaten (https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Organisation_Amerikanischer_Staaten&oldid=190997691) ein Thema.
Lateinamerikanisches Gemeinschaftsprojekt
Schon dreizehn Jahre später, auf der Interamerikanischen Konferenz zur Festigung des Friedens, wurde in Buenos Aires die Konvention über die Carretera Panamericana unterzeichnet. Während jedoch Kanada und die USA diese Fernverbindung größtenteils über bestehende Highways führten, wurde die Panamericana in Mittel- und vor allem in Südamerika als transkontinentaler Verkehrsweg konsequent vorangetrieben. Nicht zuletzt, weil er hier in Ermangelung eines leistungsfähigen Bahnnetzes vor allem für den Güterverkehr eine zentrale Bedeutung hat.
Der mit Abstand größte Teil dieser enormen, rund 9.000 Kilometer langen Strecke von Cali im Norden Kolumbiens bis nach Punta Arenas am südlichsten Zipfel des Chilenischen Festlands, verläuft in unmittelbarer Nähe oder direkt an der vergleichsweise dicht besiedelten Pazifik-Küste. In keinem der durchquerten Länder aber hat diese viel befahrene Fernroute mit derart widrigen Verhältnissen zu kämpfen wie in Peru. Hier sind nicht nur – wie etwa auch in Chile – die mehrfach zu durchquerenden menschenleeren Wüstenabschnitte eine Herausforderung für Mensch und Maschine, sondern auch die in vielen Regionen äußerst schwierige topographische Situation.
Gefährliche Route durch Peru
Einer der anspruchsvollsten Abschnitte liegt auf dem Abschnitt zwischen Nasca und Arequipa südlich von Lima. Zwischen Puerto De Lomas über Chala und La Punta bis nach Camaná krallt sich die Fernroute über eine Strecke von 313 Kilometern eng an die steil in den Ozean stürzenden Ausläufer der Anden.
In fünfzig, achtzig, ja bis zu hundert Metern Höhe windet sich die zweispurige Hauptverkehrsader des Kontinents in zum Teil engen Schleifen um bizarre Geländeformationen. Nur wenige der teils haarsträubenden Kehren sind notdürftig durch Leitplanken gesichert. Und die machen eher den Eindruck, dass sie im Zweifelsfall den hier in dichter Folge vorbei donnernden Sattelzügen nicht viel entgegenzusetzen hätten. Der beste Schutz ist da noch immer der Blick hinunter in Richtung der tosenden Brandung. Er führt unmissverständlich vor Augen, dass bereits der kleinste Fahrfehler zu fatalen Folgen führen würde: Auf diesem Weg gäbe es kein Halten mehr.
Um so mehr verwundert da die gedankenlose, oft auch an Rücksichtslosigkeit grenzende Fahrweise vieler Trucker. Immer wieder kann man beobachten, dass schwerste Lastzüge in den engen Kurven die Hälfte der Gegenfahrbahn einnehmen. Die Folgen sind allenthalben gegenwärtig: Kleine Häuschen am Straßenrand, kaum größer als eine durchschnittliche Hundehütte, mit einem davor aufgestellten Kruzifix, verraten, dass hier vor nicht allzu langer Zeit jemand zu Tode gekommen ist. Wer sich erst einmal angewöhnt hat, darauf zu achten, stolpert bisweilen über regelrechte Reihenhaussiedlungen en miniature.
Geologische Spezialitäten
Doch auch die Beschaffenheit des Bodens birgt zahlreiche Gefahren. Die vorherrschenden Materialien sind Fels, Geröll und Sand – wobei sich reine Felspartien mit Abschnitten abwechseln, die aus einem Konglomerat aus Geröll und Sand bestehen. Was den Abbildungen nicht zu entnehmen ist: Diese kompakte Gemengelage ist hart wie Beton. Das liegt letztlich daran, dass sowohl die Anden wie auch der schmale Küstenstreifen zu ihren Füßen von der hier besonders starken Kontinentaldrift vor zig Millionen Jahren in die Höhe gefaltet und damit aus dem Meer gehoben wurden. Was zuvor über Milliarden Jahre Meeresboden war, wurde vom enormen Wasserdruck äußerst kompakt verdichtet. Und die Sonneneinstrahlung tat, nach dem das Gelände aus dem Meer gehoben wurde, ein Übriges und backte das Material in dieser Form zu einem harten Sandwich zusammen. Als Kleber bzw. Bindemittel fungierte das im Boden enthaltene Salz.
Für Straßenbauer sind das natürlich optimale Bedingungen. Es ist nicht viel mehr nötig, als mit entsprechend schwerem Gerät den geplanten Straßenverlauf möglichst plan in Hänge und Hügel zu fräsen. Und schon kann ein Straßenfertiger eine Asphaltschicht auftragen. Ein aufwändiger Unterbau oder eine Verdichtung des Untergrunds erübrigt sich. Nach dem gleichen einfachen Verfahren entstehen auch die Tunneldurchfahrten: Einfach hindurchfräsen, Fahrbahn auftragen und fertig. Eine Innenverkleidung der Tunnelwände gibt es nicht. So passieren die Trucker auf der Fahrt entlang der Fernroute in diesem Abschnitt immer wieder Tunnel, aus deren Decke tausende Felsbrocken ragen und steile Böschungen, die mit tonnenschweren Felsbrocken gespickt sind. Und die bleiben eine ständige Gefahrenquelle: Regelmäßig gilt es, riesige Brocken zu umfahren, die heruntergekracht sind. Nicht auszudenken, wenn in einem solchen Moment jemand auf der Straße unterwegs wäre.
Wehe, wenn es regnet
Das alles, das bleibt festzuhalten, ist natürlich nur deshalb möglich, weil es hier so gut wie niemals regnet. Was passiert, wenn sich das ändert, zeigen immer wieder kurze Passagen, wo die vormals dem Pazifik zugewandte Spur der Fernstraße urplötzlich unterbrochen ist und an ihrer Stelle ein riesiges Loch klafft. Einstweilen noch nicht beseitigte Folgen eines Hangrutsches, oftmals gut und gerne hundert Metern lang. Auf der verbleibenden Spur hingegen fließt der Verkehr, nunmehr notgedrungen in beide Richtungen, ungerührt weiter. Solche Geländeabgänge waren in den frühen Jahren der Panamericana kaum ein Thema. Doch seit der Jahrtausendwende ereignen sie sich immer öfter. SIe sind direkte Folgen eines Wetter-Phänomens, das in Südamerika den Namen El Niño (= das Christkind) hat. Es ist eine Laune der Natur, die, verstärkt durch die Erderwärmung, sich massiv auf die Großwetterlage der Südhalbkugel auswirkt: Der hier sonst konstant seewärts gerichtete Wind hält den Humboldstrom aufrecht, der normalerweise kaltes Wasser aus der Antarktis, entlang der Küste von Chile und Peru, in den Pazifik pumpt. Dieser Vorgang ist auch die Ursache für den Mangel an Niederschlägen in weiten Teilen der südamerikanischen Pazifikküste.
Anomalie mit fataler Wirkung
Immer wieder kommt es (zumeist um die Weihnachtszeit) vor, dass sich die Windrichtung umkehrt. Was dazu führt, dass die sonst nach Neu Guinea, Indonesien und Malaysia getragenen ergiebigen Niederschläge an der südamerikanischen Küste niedergehen. Die laufen auf dem knochentrockenen Boden zunächst oberflächlich ab, beginnen aber, wenn sie länger anhalten, irgendwann die Böden derart aufzuweichen, dass sie den Halt verlieren. Katastrophale Erdrutsche sind die Folge. Und die treffen ein Land, das sich bislang in keinster Weise auf die Zunahme dieser Unbilden des Wetters eingestellt hat.
Und noch eine Gefahr lauert in den Tiefen des Bodens: Von Japan einmal abgesehen wird kaum eine Region der Erde so häufig von Erdbeben heimgesucht wie der Küstenstreifen entlang des Pazifiks in Peru und Chile. Während das reiche Chile in Sachen Erdbebenvorsorge mittlerweile einen ähnlich hohen Standard erreicht hat wie Japan, hinkt Peru, das sich erst seit wenigen Jahren aus der Agonie des jahrzehntelangen Würgegriffs der Terrororganisation Leuchtender Pfad zu lösen beginnt, hier weit hinterher.
Durchgeschüttelt von Erdbeben
Ein während der Fahrt rund tausend Kilometer weiter südlich in Chile lokalisiertes Beben der Stärke 7,3 auf der Richterskala hinterließ dort wegen der bebensicheren Bauweise der meisten Gebäude so gut wie keine Schäden. Das im Norden angrenzende Peru wäre davon weitaus stärker betroffen gewesen. So erging es 2001 der Küstenstadt Camaná, dem Endpunkt dieses besonders gefährlichen Abschnitts der Panamericana: Ein Beben der Stärke 7,9 forderte über hundert Menschenleben und machte Tausende obdachlos. Auch Teile der Infrastruktur wurden massiv beeinträchtigt.
Auch wenn diese Gefahren allgegenwärtig sind; wenn letztlich jede Sekunde ein Steinschlag oder ein Erdrutsch die Menschen aus dem Leben reißen können, bleibt der Bevölkerung hier nichts anderes übrig, als sich ihnen zu stellen. Nicht zuletzt, weil es am Ende eben nur die wenigen Unglücklichen trifft, die zur falschen Zeit am falschen Ort waren.
Wer eine Panne hat, hat ein Problem
Auf eine andere Gefährdung haben sich die Peruaner indes sehr wohl eingestellt: Kann man während der zahlreichen Ortsdurchfahrten einen wahrhaft kunterbunt zusammengewürfelten Fuhrpark auf den Straßen erleben, weicht dieses quirlige Gewusel bei der Weiterfahrt über Land recht schnell wieder der Monotonie der zumeist von mächtigen Freightlinern (https://freightliner.com) bespannten Sattelzüge. Mopeds, dreirädrige Tuctucs und die noch in großer Zahl genutzten, äußerst betagten Pick-ups US-amerikanischer Herkunft wagen sich dagegen meist nur wenige Kilometer aus den Ortschaften heraus. Denn wer hier im Niemandsland liegenbleibt, hat ein Problem: Einen Abschleppdienst gibt es nicht. Abgesehen von wenigen übers Land verstreuten kleinen Privatunternehmen. Und auf die Hilfe anderer Trucker zu setzen, käme hier kaum jemanden in den Sinn. Fast alle Trucker in Peru sind zugleich Transportunternehmer und damit auch Eigentümer des von ihnen gesteuerten Zuges. Der Wettbewerb ist knallhart und die Margen sind gering. Da bleibt kaum Zeit, sich mit den Problemen anderer zu belasten. Zumal sich das Land gerade in einer Periode rasanten wirtschaftlichen Aufschwungs mit zumeist zweistelligen Wachstumsraten befindet. Jeder ist sich da selbst der Nächste und möchte sich und seiner Familie ein möglichst großes Stück des zu verteilenden Kuchens sichern.
Ein Land voller Improvisationskünstler
So bleibt im Falle des Falles nichts anderes übrig, als das Problem notdürftig zu beheben und sich, soweit möglich, zur nächsten noch so kleinen Siedlung durchzuschlagen. Letztlich spielt es aber keine allzu große Rolle, wo die Reparatur durchgeführt wird. In Peru werden die meisten Reparaturen an Ort und Stelle und nahezu grundsätzlich unter freiem Himmel durchgeführt. Das mag europäischen Truckern vielleicht abenteuerlich vorkommen – hier nehmen es die Leute mit Humor. Und wer es bis zu einem eigenen Truck geschafft hat, der hat eben auch einiges zu verlieren.
Immer wieder begegnet man in der sonst kargen Landschaft mehr oder weniger winzigen Inseln spärlichen Grüns. Diese für das Land typischen, dicht besiedelten Oasen werden nicht selten von unterirdischen Abflüssen von Schmelzwasser aus den Anden am Leben gehalten. Hier können sich die Fahrer mit Getränken und Zigaretten versorgen, wenn nötig Ersatzteile bestellen und sich in einem der meist in größerer Zahl aneinander gereihten Stehrestaurants mit einer Ceviche, einer Causa oder einem Lomos Saltado verpflegen. Im Gegensatz zu ihren deutschen Pendants wird hier noch richtig gekocht und der Ruf der peruanischen Küche ist in ganz Südamerika über jeden Zweifel erhaben. So gibt es zumindest die eine oder andere Entschädigung für den knochenharten Job. So viel ist zumindest sicher: Wer dieses Land bereist hat, zeigt sich von wenigen Ausnahmen abgesehen tief beeindruckt vom Fleiß und der Zuversicht der Menschen, die hier leben.
Das Christkind
El Niño, so genannt wegen seines Auftretens um die Weihnachtszeit, ist eine Wetter-Anomalie, die die üblicherweise nach Westen gerichteten Passatwinde über dem südöstlichen Pazifik zum Erliegen bringt. Diese Winde sorgen, weil sie das Oberflächenwasser vor sich her treiben, vor der Küste von Südamerika für den Auftrieb von kühlem und nährstoffreichen Wasser aus den Tiefen des Ozeans. Dieser Auftrieb ist Teil des Humboldtstroms. El Niño schwächt diesen Prozess ab, wodurch letztlich der kalte Humboldtstrom zum Erliegen kommt. Die Folge ist, dass sich das Oberflächenwasser vor der Küste Perus so sehr erwärmt, dass die obere Wasserschicht nicht mehr mit dem kühlen und nährstoffreichen Tiefenwasser durchmischt wird. Zudem führt El Niño zu einer dramatischen Steigerung der normalerweise äußerst geringen Niederschläge in der Region. Untrügliche Hinweise auf das Phänomen sind sonsthin undenkbare dichte Blütenteppiche in der Atakama, einer Region, die normalerweise zu den niederschlagsärmsten der Erde zählt.