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Kürze Überhänge und eine steil aufragende Fahrerkabine – auf der Straße gleicht das Fahrzeug einer fahrenden Schrankwand

Ausser Rand Und Band

Schreibtischtäter brauchen so etwas bei der Arbeit nicht. Doch was, wenn es gilt, sich Tag für Tag durch unwegsames Gelände zu kämpfen, bevor man mit der Arbeit beginnen kann, dann auch noch Gerätschaften mitzubringen muss sowie anschließend beispielsweise Bioabfälle entsorgen? Für derartige Herausforderungen hat die kanadische Firma Bombardier Recreational Products den Can-Am Traxter HD10 geschaffen. Ein Arbeitsgerät mit Spaßfaktor

Quads sind als sogenannte All-Terrain-Vehicles seit einigen Jahren schwer im Kommen. Bislang vor allem im Sport- bzw. Freizeitbereich zu Hause, beginnen nun erste Hersteller neue Käuferschichten zu erschließen. Die Firma Bombardier Recreational Products (kurz BRP) aus dem kanadischen Valcourt macht es vor: Im Blick haben die Kanadier offenbar vor allem Firmen, die im Wald, auf Golflätzen oder in der Landschaftspflege arbeiten und bei denen man daher ein gewisses Interesse an einem leichten und sehr geländegängigen Fahrzeug unterstellen darf. Genau auf derartige Anwendungen scheint der Can-Am Traxter HD10 zugeschnitten, ein in weiten Teilen durchaus stylisches ATV, dass nun aber mit einer geschlossenen Kabine und einer kurzen Ladefläche daherkommt.
Ein Nutzfahrzeug? Das darf man sehen wie man will. Fakt bleibt jedenfalls, dass in dem Gefährt kaum übersehbar immer noch die Gene eines Fahrzeugs stecken, das auf Spaß und sportliches Cruisen auf unbefestigtem Gelände hin getrimmt wurde. Das fängt beim schnittigen Design der Frontpartie an, macht bei den schmucken Alufelgen nicht halt und bestätigt sich letztlich in dem leistungsstarken Rotaxmotor, der im Heck unmittelbar vor der Hinterachse werkelt. Was liegt also näher, dem Traxter einmal ordentlich auf den Zahn zu fühlen? Denn schon bei ersten Testfahrten auf öffentlichen Straßen scheint das Teil seine Eignung für sportliche Fahrten zu untermauern. Ganz genau! Der Traxter verfügt so, wie von BRP vor der Haustür abgestellt, über eine ganz normale Straßenzulassung.
Schon hier legt das knuffige ATV trotz seines vor allem auf die geschlossene Kabine und den Aufbau oberhalb der Pritsche zurückzuführenden Übergewichts von 700 kg eine ordentliche Beschleunigung an den Tag. Im wesentlichen zu verdanken ist das dem Rotax 1000R V-Twin, der in der hier verbauten Version mit 976 Kubikzentimetern Hubraum auf eine stattliche Leistungsausbeute von 75,4 kW/102PS kommt.
Seine Power leitet das Kraftpaket über ein stufenloses hydrostatisches Pro-Torq-Getriebe mit Drehmomentwandler an die hinteren oder – wenn der Fahrer die Allradfunktion aktiviert hat – an alle vier Räder weiter. Damit liegt beim Anfahren, tritt man mit Verve das Gaspedal durch, bei einer Drehzahl von 6.000 Umdrehungen und ohrenbetäubender Lautstärke ein sattes Drehmoment von 100 Nm an. Damit kommt man zwar ganz ordentlich aus dem Quark, andererseits begrenzt das Getriebe die außerorts erzielbare Höchstgeschwindigkeit. Sie liegt bei etwas mehr als 80 Kilometer pro Stunde. Spaß macht das bei dem von nunmehr weit über 7.000 Kurbelwellenumdrehungen in der Minute verursachten Höllenlärm nicht mehr.

Über Stock und Stein

Aber dafür ist der Hobel auch nicht gedacht. Das zeigt sich bereits, wenn man bei 80 Sachen zügig verzögern will: Trotz rundum verbauter Scheibenbremsen muss der Fahrer mächtig in die Eisen gehen, um kurzfristig zum Stehen zu kommen. Das Gegenteil passiert, nur um der Vollständigkeit halber, wenn man weniger beherzt aufs Gaspedal tritt. Nichts! Der Traxter ist kein Partner für Feingeister. Anders dagegen die hervorragende Servolenkung des nur rund drei Meter langen Kraftzwerges: Flüssiges Manövrieren selbst auf engen Wald- und Feldwegen ist damit kein Problem.
Hier zeigt sich das Gefährt aus Kanada erst wirklich in seinem Element. Und auch die Bockbeinigkeit des ansonsten souveränen Antriebs fällt weit weniger ins Gewicht. Dank vierer unterschiedlicher Antriebsmodi (Hinterrad- bzw. Allradantrieb jeweils mit oder ohne Differentialwirkung) sowie eines zusätzlichen Langsamfahrgangs ist auch schweres Gelände für den Traxter keine Herausforderung. Dafür um so mehr für den Fahrer. Der für die Fahraufnahmen verpflichtete „Testpilot“ Claus Brüning ließ bei seiner Fahrt über das von andauernden Regenfällen ordentlich durchweichte Gelände des Kieswerks Timm im Norden von Hamburg wahrlich nichts anbrennen.
Doch der Reihe nach: Zuerst wollen wir wissen, wie es um die Off-Road-Fähigkeiten des Kanadiers bestellt ist. Mit seiner vergleichsweise breiten Spur nimmt er souverän seitliche Böschungen und kapituliert auch nicht vor steil anstiegenden Geländeerhebungen. Es sei denn, der Vorwärtsdrang wird durch die mangelnde Bodenfreiheit begrenzt. Doch selbst in diesem Fall muss man sich nicht um das Fahrzeug sorgen: Eine entsprechende Bodenbeplankung soll den Traxter vor Beschädigung durch aus dem Boden hervorstehende Baumstümpfe oder Steine schützen. Und sollte man mit dem Kanadier wirklich einmal in eine missliche Lage kommen, aus der es mit dem eigenen Antrieb kein Entrinnen mehr gibt, ist immer noch eine Option offen: Gut geschützt im Rahmenvorbau hat BRP beim Traxter vor der Vorderachse eine elektrische Winde verbaut.
Auch sonst vermittelt das Fahrzeug den Eindruck, dass ihm so schnell nichts etwas anhaben kann. Der stabile Stahlrohrrahmen und der großflächige Einsatz von stoß- und kratzunempfindlichen Kunststoff befreien bei der Fahrt über zugewachsene Wege von der Befürchtung, damit gleich gravierende Schäden zu verursachen. Das gilt auch für die in dieser Hinsicht ideal platzierte Beleuchtung.

Aus Ernst wird Spaß

Nachdem die fließend in die umgebende Natur übergehenden Randbereiche des „Test-Geländes“ erkundet sind, wenden wir uns schließlich einem Bereich zu, in dem unterschiedliche Sandsorten und recycelter Bauschutt auf ihre weitere Verwendung warten. Hier drückt die Feuchte in großflächigen Pfützen aus dem Boden.
Der bärige Antritt des Gefährts und der rutschige Untergrund – zusammengenommen sind das ideale Voraussetzungen zum Driften. Das konnte auch Claus nicht lange verborgen bleiben. Lange Fontänen von Matsch hinter sich knallt er Runde um Runde über das Gelände, immer haarscharf am Fotografen vorbei. Zugute kommt ihm dabei, dass sich bei dem Sch…wetter so gut wie niemand auf dem Werksgelände blicken lässt. So drücken sich der Chef und seine Mitarbeiter am Fenster der Bürobaracke die Nasen platt und schauten amüsiert zu, was wir da so treiben. Zum Glück!
Denn mit der Zeit geht dem Testpiloten zusehends der Übermut durch. Irgendwann – vermutlich musste es so kommen – ist es dann so weit: Waren die Vorderräder zu stark eingeschlagen oder die Geschwindigkeit zu hoch? Mit einem Mal sieht man jedenfalls die kurveninneren Räder von Boden abheben. Erst nur wenig…
Jetzt müsste er eigentlich gegenlenken oder einfach auf die Bremse treten!
…und-Ablug
Aber nein. Claus glaubt offenbar immer noch, alles unter Kontrolle zu haben. Doch der Abstand zwischen Rädern und Boden vergrößert sich zusehends. Jetzt müsste Claus eigentlich aufgehen, dass das kein gutes Ende nimmt. Doch die entfesselte Zentrifugalkraft will irgendwo hin. Nein! Neeiiiinnn!
Die Fahrt endet mit einem unerwartet dumpfen „Poff!“ Beim späteren Betrachten der Aufnahmen des unverdrossen weiter knipsenden Fotografen lässt sich rekonstruieren, dass Claus vom Verlust des Bodenkontakts der beiden Räder bis zur einstweiligen Zwangspause sogar noch eine 90-Grad-Kehre hinlegt. Bis er selber liegt. Mit dem Traxler auf der Seite.
Wie Claus dabei im ersten Moment in der Fahrerkabine zu (…liegen…?) kommt, ist leider nicht mehr zu rekonstruieren. „Ach, der Unterboden ist also mit Gummiplatten vor gröberen Kontakten mit dem Untergrund geschützt! So sieht man das selten. Also gleich noch einige Aufnahmen gemacht!“
Währenddessen klettert Claus nicht aus dem nach oben zeigenden Einstieg für den Fahrer sondern vorne aus der aufklappbaren Windschutzscheibe nach draußen. Und biegt sich … vor Lachen! Testfahren macht Glücklich.
Noch bevor wir überhaupt in der Lage sind, uns ernsthaft um ein Wiederauffrichten des Kraftzwergs zu kümmern ist der Kieswerksbesitzer mit seinem Radlader schon zu Stelle. Mit einem kaum verhohlenen breiten Grinsen im Gesicht. „Na dann wollen wir doch mal!“ Mit diesen Worten stapft er zurück und angelt hinter irgendeiner Klappe seines Gefährts zwei Gurte hervor. Am Rohrrahmen des Traxter befestigt, muss die schwere Maschine nur ein wenig ziehen, bis der Traxter letztlich wieder auf allen vieren steht.
„So ein Radlader geht doch auch ganz gut ab…“, startet Claus den Versuch, gleich die nächste Testfahrt klar zu machen. „Bleibt ihr mal lieber bei eurem Auto“ Ist die unmissverständliche Antwort.

Zurück zum ordentlichen Testbetrieb

Was ist bei der Landung auf der Seite kaputt gegangen? Nichts! Klar, der Seitenspiegel hat sich eng angelegt und vielleicht finden sich irgendwelche feinen Kratzspuren in der mit unverwüstlichem Kunststoff verkleideten Seitentür. Und die Felgen? Hatten vorher auch schon ihre Schrammen. Also gut. Einige Fahrten mit Vollgas durch stehende Wasserlachen sollen noch in den Kasten. Den eben erst erlebten Schrecken schnell hinter sich lassend gibt Claus auch hier alles. Fertig!
Auf dem Weg zur Waschanlage fällt auf, dass dabei kaum Wasser in die Kabine eingedrungen ist. Kompliment! Überhaupt hat BRP auch bei der Ausgestaltung der Fahrerhauses einiges an Gehirnschmalz investiert. Zwar mittlerweile durch unsere Schuhe und unsere schlammverschmierte Ausrüstung völlig versaut, fallen hier doch einige bemerkenswerte Details auf. So lässt sich etwa die Rückenlehne des mittleren (Behelfs-) Sitzes nach unten klappen und wird so zum Getränkehalter und falls es hier etwas zu verstauen gibt, kann wahlweise auch die entsprechende Sitzfläche nach oben geklappt werden. Verfährt man so mit der Sitzfläche des Beifahrersitzes, gelangt man an einen darunter platzierten voluminösen Behälter, der sich, ebenso wie etwa das „Handschuhfach“ in der Konsole, auch aus dem Fahrzeug entnehmen lässt und zum Transport etwa von Werkzeug genutzt werden kann. Die nach vorne öffnenden Selbstmödertüren erlauben zudem ein schnelles Entern des Gefährts.
Klar, derlei sinnige Features, wie nicht zuletzt auch die kippbare und mit seitlichen Gittern ausgestattete und innen mit einem strapazierfähigen Kunststoff ausgekleidete Ladefläche und die Ausstattung mit einer Anhängerkupplung samt entsprechendem Steckanschluss für dessen Beleuchtung, legen eine Einordnung des CAN-Am Traxter als Nutzfahrzeug nahe. Dennoch: Seine souveränen Fahreigenschaften und seine robuste Ausführung machen vor allem bei Fahrten jenseits asphaltierter Wege Spaß. Inwieweit sich allerdings die Investition von immerhin 18.000 Euro lohnt, muss jeder selbst entscheiden.

Testpilot-Claus-Brüning
Technische Daten

Can-Am Traxter HD10

Motorleistung: 75,4 kW/102 PS bei 7.750 rpm
Drehmoment: 100 Nm bei 6.000 rpm
Gewicht/Nutzlast: 703 kg
Maße: 3048x1575x1981 mm (LxBxH)
Winde: 2.014 kg

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